Löwen in der Wüste
Anmerkung der Redaktion:
Uns ist durchaus bekannt, daß einige Ausschnitte des nachfolgenden
wissenschaftlichen Artikels bereits in früheren Publikationen der
Fachschaft (Asinus Nr. 20) an dieser Fakultät veröffentlicht wurden. Wir
gehen jedoch davon aus, daß eine ausführlichere Darstellung, vor allem
in Hinblick auf interfakultäre Zusammenarbeit, dennoch das
Interesse des geneigten Lesers findet.
Quelle: F. Wille: Humor in der Mathematik
Wie fängt man einen Löwen in der Wüste?
Auch das Einfangen von Löwen in der Wüste ist ein schönes Beispiel
anwendungsnaher Mathematik, in das sogar physikalische Aspekte
hineinspielen. Wir geben daher zum Nutzen der Leser eine
Zusammenstellung wieder, die ihm bei diesem, im täglichen Leben so
häufig auftretenden Problem, einige Leitlinien zur Lösungsfindung
vermittelt.
Mathematische Methoden
- Die Hilbertsche oder axiomatische Methode
- Die geometrische Methode
- Die Projektionsmetheode
- Die Bolzano-Weierstraß-Methode
- Die mengentheoretische Methode
- Die funktionalanalytische Methode
- Die Peano-Methode
- Die topologische Methode
- Die Cauchysche oder funktionentheoretische Methode
- Die Banachsche oder iterative Methode
- Die Kompaktheitsmethode
- Die logische Methode oder Methode des "Tertium non datur"
- Die stochstische Methode
- Die didaktische Methode
Physikalische Methoden
- Die Newtonsche Methode
- Die Heisenberg-Methode
- Die Schrödinger-Methode
- Die Einsteinsche oder relativistische Methode
- Die dialektische Methode
Mathematische Methoden
Man stellt einen Käfig in die Wüste und führt folgendes Axiomensystem
ein:
- Axiom 1:
- Die Menge der Löwen in der Wüste ist nicht leer.
- Axiom 2:
- Sind Löwen in der Wüste, so ist auch ein Löwe im Käfig.
- Schlußregel:
- Ist p ein richtiger Satz, und gilt "wenn p, so q",
so ist auch q ein richtiger Satz.
- Satz:
- Es ist ein Löwe im Käfig.
Man stelle einen zylindrischen Käfig in die Wüste.
- 1. Fall:
- Der Löwe ist im Käfig. Dieser Fall ist trivial!
- 2. Fall:
- Der Löwe ist außerhalb des Käfigs. Dann stelle man sich in den Käfig
und mache eine Inversion an den Käfigwänden. Auf diese Weise gelangt der
Löwe in den Käfig und man selbst nach draußen.
- Achtung!
- Bei Anwendung dieser Methode ist dringend darauf zu achten, daß man
sich nicht auf den Mittelpunkt des Käfigbodens stellt, da man sonst im
Unendlichen verschwindet!
Ohne Beschränkung der Allgemeinheit nehmen wir an, daß die Wüste eine
Ebene ist. Wir projizieren sie auf eine Gerade durch den Käfig, und die
Gerade auf einen Punkt im Käfig. Damit gelangt der Löwe in den Käfig.
Wie halbieren die Wüste in Nord-Süd-Richtung durch einen Zaun. Dann ist
der Löwe entweder in der westlichen oder östlichen Hälfte. Wir wollen
annehmen, daß er in der westlichen Hälfte ist. Daraufhin halbieren wir
diesen westlichen Teil durch einen Zaun in Ost-West-Richtung. Der Löwe
ist entweder im nördlichen oder im südlichen Teil. Wir nehmen an, er ist
im nördlichen. Auf diese Weise fahren wir fort. Der Durchmesser der
Teile, die bei dieser Halbiererei entstehen, strebt gegen Null. Auf
diese Weise wird der Löwe schließlich von einem Zaun beliebig kleiner
Länge eingegrenzt.
Die Punkte der Wüste lassen sich wohlordnen. Ausgehend vom kleinsten
Element erwischt man den Löwen durch transfinite Induktion.
- Bemerkung:
- Diese Methode ist in Fachkreisen umstritten wegen der Verwendung des
Wohlordnungssatzes bzw. des Auswahlaxioms. Wie so oft, hat auch die
vorliegende Fragestellung zu einer fruchtbaren Entwicklung geführt.
Dabei wurde schließlich eine sehr viel einfachere Merhode entdeckt, die
den genannten Mangel nicht aufweist: Man betrachte alle Teilmengen der
Wüste, die den Löwen enthalten und bilde den Druchschnitt. Er enthält
als einziges Element des Löwen.
(Bei dieser Durchschneiderei ist lediglich darauf zu achten, daß das
schöne Fell des Löwen nicht zerschnitten wird!)
Die Wüste ist ein separabler Raum. Er enthält daher eine abzählbare
dichte Menge, aus der eine Folge ausgewählt werden kann, die gegen den
Löwen konvergiert. Mit einem Käfig auf dem Rücken springen wir von Punkt
zu Punkt dieser Folge und nähern uns so dem Löwen beliebig genau.
Man konstruiere eine Peano-Kurve durch die Wüste, also eine stetige
Kurve, die durch jeden Punkt der Wüste geht. Es ist gezeigt worden, daß
man eine solche Kurve in beliebig kurzer Zeit durchlaufen kann. Mit dem
Käfig unter´m Arm durchlaufe man die Kurve in kürzerer Zeit, als der
Löwe benötigt, um sich um seine eigene Länge fortzubewegen.
Der Löwe kann topologische als Torus aufgefaßt werden. Man transportiere
die Wüste in einen vierdimensionalen Raum. Es ist nun möglich die Wüste
so zu deformieren, daß beim Rücktransport in den dreidimensionalen Raum
der Löwe verknotet ist. Dann ist er hilflos.
Wir betrachten eine reguläre löwenwertige Funktion f auf der Wüste. Der
Käfig stehe im Punkt z der Wüste. Man bildet dann das Integral
1 / f(zeta)
------- | ---------- dzeta,
2 Pi i / zeta - z
C
wobei C der Rand der Wüste ist. Der Wert des Integrals ist
f(z), d.h. es ist ein Löwe im Käfig.
Es sei f eine Kontraktion der Wüste in sich. x0 sei ihr Fixpunkt.
Auf diesen Fixpunkt stellen wir den Käfig. Durch sukzessive
Iteration
W(n+1) = f(W(n)), n=0,1,2,... (W(0) := Wüste)
wird die Wüste auf den Fixpunkt zusammengezogen. So gelangt der Löwe in
den Käfig.
Die Wüste wird ohne Beschränkung der Allgemeinheit als kompakt
vorausgesetzt. Man überdecke sie mit einer Familie von Käfigen K(i)
(i Element I). Dann gibt es unter ihnen endlich viele Käfige
K(i(1)), ..., K(i(n)), die bereits die ganze Wüste überdecken.
Die Durchmusterung dieser Käfige auf darin befindliche Löwen wird als Diplomarbeit vergeben.
Man stelle einen offenen Kä&fig in die Wüste und lege ein Brett mit Leim daneben. Beides biete man dem Löwen zum Betreten an. Der Löwe sagt dann:"Nein, auf den Leim gehe ich nicht!" Nach dem "Tertium non datur" muß er in den Käfig gehen. Danach schlägt man die Tür zu.
Man benötigt dazu ein Laplace-Rad, einige Würfel und eine Gaussche Glocke. Mit dem Laplace-Rad fährt man in die Wüste und wirft mit den Würfeln nach dem Löwen. Kommt er dann wutschnaubend angerannt, so stülpt man die Gaussche Glocke über ihn. Unter ihr ist er dann mit der Wahrscheinlichkeit eins gefangen.
Man nähere sich dem Löwen auf der Brunerschen Spirale. Dann elementarisiere man den Löwen zu einer Katze und fange ihn mit einer Schale Milch.
Physikalische Methoden
Käfig und Löwe ziehen sich durch die Gravitationskraft an. Wir vernachlässigen die Reibung. Auf diese Weise muß der Löwe früher oder später am Käfig landen.
Ort und Geschwindigkeit eines bewegten Löwen lassen sich nicht gleichzeitig bestimmen. Da bewegte Löwen also keinen physikalisch sinnvollen Ort in der Wüste einnehmen, kommen sie für die Jagd auch nicht in Frage. Die Löwenjagd kann sich daher nur auf ruhende Löwen beschränken. Das Einfangen eines ruhenden, bewegungslosen Löwen wird dem Leser als Übungsaufgabe überlassen.
Die Wahrscheinlichkeit dafür, daß sich ein Löwe zu einem Beliebigen Zeitpunkt im Käfig befindet, ist größer als Null. Man setze sich vor den Käfig und warte.
- Bemerkung
- Hierbei wird üblicherweise vorausgesetzt, daß der Käfig offen ist und man ihn zuschlagen muß wenn der Löwe drin ist. H. Schubert wies aber darauf hin, daß man den Käfig wegen des Tunneleffektes auch zulassen kann. Auf diese Weise kann man bei der elenden Warterei auch mal weggehen und ein Bierchen trinken. Aber nicht zu lange! Denn kluge Löwen, die den Tunneleffekt begriffen haben, verschwinden auch wieder.
Man überfliege die Wüste nahezu mit Lichtgeschwindigkeit. Durch die relativistische Längenkontraktion wird der Löwe flach wie Papier. Man greife ihn, rolle ihn auf und mache ein Gummiband herum.
- Bemerkung
- Wir haben uns hier auf physikalische Methoden beschränkt, die der Mathematik nahe stehen. Weitere Methoden, insbesondere experimentalphysikalische, findet der Leser in der verdienstvollen Abhandlung von H. Pétard(22) aus dem Jahre 1938 (wie zum Beispiel das Arbeiten mit halbdurchlässigen Membranen, die alles außer Löwen durchlassen. Mit ihnen siebt man die Wüste durch). Die Sammlung von Pétard hat auch bei einigen der angegebenen mathematischen Methoden Pate gestanden. Für einige neu aufgenommene Fangmethoden in dieser Auflage danke ich G. Niklasch und L. Scheyde.
- Auf eine schmerzliche Lücke jedoch wies H. Schubert hin, der sich offenbar besonders tief in die Problematik einarbeitete. Er bemerkte, daß in all den beschriebenen Methoden die Existenz mindestens eines Löwen vorausgesetzt sei. Wie jeder Mathematiker weiß, sind aber Existenzprobleme häufig die haarigsten.
- Schubert ist nicht der Mann, der auf halbem Wege stehen bleibt. Er teilte mir daher die folgende Strategie mit, welche die Lücke scließt.
Man zäunt die Wüste ein, bewässert sie, sät Gras und setzt Kaninchen aus. Die Kaninchen vermehren sich schnell. Nach Hegel kommt daher bald der Zeitpunkt, bei dem die Quantität in Qualität umschlägt, und dann hat man einen Löwen.
All diese Methoden stammen, wie Volksmärchen, aus dem Sagenschatz mathematischer Institute und werden auf Tagungen immer weiter erzählt, in der Hoffnung, daß insbesondere die Jugend sich des aufstrebenden Gebietes annehmen möchte.
Bernd, 17.02.95
WWW-Redaktion:fsv@wmax02.mathematik.uni-wuerzburg.de
Thomas und Dirk, 31.10.95